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Schriften zum Gesundheitsmanagement, Band 10

Fertigungstiefe in der stationären Versorgung
Tobias Hermann

ISBN 978-9-941678-10-1
133 Seiten

Die Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen vollzieht sich nicht in einem ökonomiefreien Raum – ganz im Gegenteil: mit einem nicht beliebig steigerbaren Finanzmittelvolumen ist ein möglichst hoher Nutzen für das gesundheitliche Wohlergehen des Bürgers anzustreben. Dieses setzt die Akzeptanz des Wirtschaftlichkeitsprinzips voraus und ist entsprechend damit verbunden, die Effektivität (werden die richtigen Maßnahmen ergriffen?) und die Effizienz (werden diese in der richtigen Weise zum Einsatz gebracht?) der Gesundheitsversorgung zu hinterfragen.
Der Gesundheitssektor gilt als Wachstumsbranche mit derzeit bereits mehr als 4,5 Millionen Arbeitsplätzen. Die hier Tätigen (ob Vertragsärztin, Pflegekraft oder Medizintechniker) bestreiten ihren Lebensunterhalt aus dem Einkommen, welches sie durch Leistungen im Gesundheitswesen generieren. Diese Löhne und andere Kosten der Gesundheitsversorgung werden mehrheitlich durch Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie durch Steuermittel aufgebracht.
Die Solidargemeinschaft hat ein Recht darauf, dass ihre Abgaben nicht „verschwendet“ werden. Verschwendung ist das Gegenteil zur wirtschaftlichen Leistungserbringung und daher eine der Solidargemeinschaft geschuldete Verpflichtung. Das Wissen um die bestmögliche medizinische Versorgung ist daher zu verknüpfen mit dem Wissen um die Bereitstellung der hierfür erforderlichen wirtschaftlichen Leistungsstrukturen und -prozesse.
Unser Gesundheitswesen darf sich nicht scheuen, Methoden und Instrumente wirtschaftlicher Leistungserbringung zu entwickeln oder aus anderen Wirtschaftsbranchen zu übernehmen. Die im Gesundheitswesen tätigen Berufsgruppen haben Aus-, Fort- und Weiterbildungen durchlaufen, die beste Voraussetzungen zur medizinisch-pflegerischen Betreuung vermitteln. Betriebswirtschaftliche Fachkenntnisse und Managementwissen sind hierbei im Curriculum kaum vertreten. Die Hochschulen haben dieses Defizit erkannt und bieten in großer Zahl entsprechende Aufbau- und Ergänzungsqualifikationen an. Vom Kontaktstudium über Bachelor-Studiengänge bis zum Masterstudium reichen diese oft berufsbegleitend konzipierten Studienangebote.
Die SRH FernHochschule Riedlingen führt seit mehr als zehn Jahren den Fachbereich der Gesundheits- und Sozialwirtschaft. In einer Kombination aus Selbststudium, Präsenzveranstaltungen und Nutzung Intranet-gestützten E-Learnings erhalten Berufstätige die Möglichkeit, sich betriebswirtschaftliches Wissen im Kontext der Gesundheitsversorgung anzueignen. Seit 2006 wird das Masterstudium „Health Care Management“ angeboten. In Anlehnung an die Phasen des Managementkreislaufs werden die Studierenden – welche zumeist bereits Führungsaufgaben wahrnehmen – mit branchenspezifischem Fach- und Führungswissen vertraut gemacht.
Die in dieser Veröffentlichung vorgestellte Master-Thesis resultiert aus dem vorstehend beschriebenen viersemestrigen Studiengang, als dessen Leiter der Unterzeichner dieses Geleitwortes fungiert. Herr Dr. med. Tobias Hermann hatte bis zu seiner Immatrikulation in diesen Masterstudiengang bereits eine respektable berufliche Entwicklung genommen. Nach seiner Approbation hatte er die Chirurgische Weiterbildung eingeschlagen und sich als Herzchirurg qualifiziert. Seine berufliche Tätigkeit in einem Herzzentrum erfüllte sicherlich einen großen Teil seiner beruflichen Ziele als Mediziner. Insbesondere die nähere Auseinandersetzung mit dem DRG-Fallgruppensystem (DRG = Diagnosis Related Groups) eröffnete Herrn Dr. Hermann eine „neue Welt“ voller ökonomischer Fragestellungen. Seine Neugierde mündete in dem Wunsch erfahren zu wollen, wie diese „ökonomische Welt eigentlich tickt“. Er entschloss sich daher zur Einschreibung in den vom Unterzeichner geleiteten Masterstudiengang. In den nachfolgenden vier Semestern wurde dem Mediziner immer deutlicher, dass ein effizientes Gesundheitssystem nur durch die Verbindung von medizinischem und wirtschaftswissenschaftlichem Wissen entwickelt werden kann. Die Realität stellte sich für ihn aber häufig so dar, dass sich diese beiden Disziplinen eher konfrontativ gegenüber standen. Mit seinem Studium und der damit verbundenen „Doppelqualifikation“ will er nun seinen Beitrag leisten, damit medizinische Versorgungsprozesse wirtschaftlich ausgerichtet werden können.
Für seine akademische Abschlussarbeit (Master-Thesis) griff Herr Dr. Hermann eine Thematik auf, die seit der mit dem DRG-System verbundenen Hinwendung zu Klinischen Behandlungspfaden an Bedeutung gewonnen hat. Diese betrifft die Frage, ob alle mit der Behandlung einhergehenden Kern- und Unterstützungsprozesse allein durch die Klinikabteilungen erbracht werden sollen. Gerade die Frage der Einbindung von niedergelassenen Ärzten in die Leistungserbringung von Krankenhäusern findet aktuell bekanntlich viel Beachtung. Abgeleitet aus anderen Wirtschaftsbranchen stellt Herr Dr. Hermann in seiner Master-Thesis die Forschungsfrage nach einem „Konzept zur Bestimmung der optimalen Fertigungstiefe“.
Nach in 2009 abgeschlossener Einführung des DRG-Fallgruppensystems in den deutschen Akutkliniken darf festgestellt werden, dass sich die Anforderungen an eine kontinuierliche Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Patientenversorgung deutlich erhöht haben. Das Krankenhaus-Management ist zudem daran interessiert, Erkenntnisse und Methoden betriebswirtschaftlicher Unternehmensführung anderer Wirtschaftsbranchen auf Übertragbarkeit hin zu prüfen. Diese Bereitschaft führt auch dazu, dass abgewogen wird, welche Teilbereiche der Krankenhausleistungen durch das Krankenhausunternehmen selbst und welche Teilbereiche durch externe Leistungserbringer eingebracht und verantwortet werden sollen.
„Do what you can do best – outsource the rest“ – die Beherzigung dieser Merkformel führte in Deutschlands Kliniken bereits dazu, dass einzelne Teilaufgaben (Reinigung, Wäscheversorgung usw.) auf externe Unternehmen übertragen wurden. Dieses Einzelfall-Outsourcing führt nunmehr zur strategischen Frage, welche „Fertigungstiefe“ in einem Krankenhaus erstrebenswert sein könnte. Die Fertigungstiefe gibt dabei den Anteil der selbst erbrachten Leistungen an, welche zur Erreichung der Gesamtleistung notwendig sind und zur Erreichung der Unternehmensziele beitragen.
Eine wachsende Anzahl von Krankenhäusern sieht sich veranlasst, künftig als fach- und sektorübergreifende, regionale Gesundheitszentren aufzutreten. Diese Neupositionierung kann beispielsweise verbunden werden mit der Einbindung ambulanter Leistungserbringer (von der Facharztpraxis bis zur Praxis für Physiotherapie), die Anteile ihrer Leistungsfähigkeiten auch in die stationäre Patientenversorgung einbringen. Der Verzicht auf ein(e) „eigene(s)“ Labor, Radiologie oder Endoskopie würde zu einer geringeren Fertigungstiefe führen. Wieviel Prozent der Gesamtwertschöpfung aber sollten von einem Krankenhaus selbst erbracht werden. In der Automobilindustrie wird diese Marke bisher bei rd. 20 Prozent gesehen – und bei Kliniken?