In der politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Diskussion herrscht ein weitgehender
Konsens darüber, dass trotz unstrittiger Vorzüge im Zugang zur Leistung das deutsche Gesundheitswesen noch erhebliche
Rationalisierungs- und Verbesserungspotenziale aufweist. Verantwortlich für die nicht ausgeschöpften Effektivitäts- und
Effizienzreserven ist ein äußerst komplexes Ursachengeflecht aus medizinischen und ökonomischen Einflussgrößen, in deren Kontext
Probleme an den Schnittstellen der Leistungssektoren zentrale Determinanten darstellen.
Insbesondere in der ambulanten und stationären sektoralen Versorgung greift der Gesetzgeber sehr stark regulierend in den
Gesundheitsversorgungsmarkt ein. Die Vielfalt an Regularien und Reglementierungen an den Schnittstellen führt sowohl angebots- als
auch nachfrageseitig zu erheblichen Fehlanreizen.
Angebotsseitig ist die Gesundheitsversorgung in Deutschland durch eine hochgradige Zersplitterung der medizinischen Versorgung in
teilautonome Versorgungseinheiten gekennzeichnet, die zu Verschwendung und damit zu Unwirtschaftlichkeiten führt.
Erschwerend kommt im deutschen Gesundheitswesen die getrennte Budgetierung der einzelnen Sektoren hinzu. Jeder Sektor verfolgt
Eigeninteressen und versucht diese gegenüber dem anderen Sektor zu wahren. So werden Einsparungen in einem Bereich nicht selten durch
höhere Ausgaben in anderen Bereichen erkauft.
Das Fehlen pretialer Steuerungselemente führt sowohl bei den Leistungserbringern als auch nachfrageseitig bei den Patienten zu einem
mangelnden Preis- und Kostenbewusstsein: Handeln und finanzielles Haften fällt auseinander. Der Patient findet eine episodenhafte
akutmedizinische Versorgung vor.
Weder die vorherrschende Vergütung nach DRGs im stationären Bereich noch der EBM im ambulanten Sektor berücksichtigen derzeit den
sektorübergreifenden Behandlungsprozess. Unterschiedliche Abrechnungseinheiten und Bewertungsverfahren erschweren die
Ineinanderführung und damit den Aufbau prozessorientierter Versorgungs- und Vergütungsstrukturen. Falsch gesetzte Anreize im
Vergütungssystem führen nicht nur zu mangelnder Integration, sondern vielmehr zu einer Isolation der Sektoren. Auch eine
erfolgsorientierte Vergütung der Leistungserbringer, sei es anhand des medizinischen oder des ökonomischen Erfolgs, ist beiden
Vergütungssystemen fremd. Der eigentliche, aus Patientenperspektive entscheidende Parameter, das Ergebnis ärztlichen Handelns, fließt
nicht in die Vergütung mit ein.
Ob die Anstrengungen des Gesetzgebers, sektorübergreifende Versorgungsstrukturen zu implementieren, gelingen werden, hängt stark davon
ab, inwieweit es gelingt, die Vergütung zwischen den Leistungserbringern zu verzahnen.
Im Rahmen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes wurden finanzielle Anreize für eine sektorübergreifende Versorgung gesetzt und
gleichzeitig eine Abkehr von kollektiv orientierten Verträgen ermöglicht. Die Absicht der Gesundheitspolitik, horizontale und
vertikale Krankheits- und Steuerungsprozesse zu fördern, zeigt sich nicht nur in dem Rechtsinstitut der integrierten Versorgung nach
§§ 140 a-d SGB V (IV). Durch weitere gesetzliche Änderungen wie die Öffnung für Krankenhäuser bei hochspezialisierten Leistungen nach
§116 b Abs. 2 SGB V, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) nach § 95 SGB V oder das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz soll die strikte
Trennung der Sektoren überwunden werden. Diese Anstrengungen des Gesetzgebers fördern integrierte Versorgungsstrukturen, sind aber
bisher nicht ausreichend, um die sektorale Trennung zu überwinden. Das entscheidende Hindernis für eine verbreitete Umsetzung
integrierter Versorgungsstrukturen liegt in der sektorspezifischen Vergütung. |